Diffring Award

Seit dem 01.10.2022 wurde das gesamte Stiftungsvermögen an die Stadt Koblenz übertragen und wird
dort als JACQUELINE DIFFRING COLLECTION im Mittelrhein-Museum Koblenz verwaltet. Hier wird weiterhin der DIFFRING PREIS FÜR SKULPTUR ausgelobt und wie bisher im Sinne der Stifterin verliehen.

Diffring Preis für Skulptur

Gemäß der Satzung der gemeinnützigen Stiftung vergibt die Jacqueline Diffring Foundation einen Preis an eine Künstlerin oder einen Künstler im Fach Skulptur. Er richtet sich an junge noch nicht arrivierte internationale Künstler und wurde zum ersten Mal 2008 vergeben. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.

Die Auswahlkriterien beruhen auf einen inhaltlichen und/oder formalen Bezug zum Werk der Stifterin Jacqueline Diffring.
Die Auswahl der Preisträger erfolgt auf Grund von Vorschlägen aus der Jury.
Bewerbungen können in Form von eMails, Portfolios oder CD/ DVDs eingereicht werden. Für die zugesandten Dokumente wird keine Haftung bzw. Rücksendung übernommen.
Die Preisverleihung ist öffentlich, findet an einem kulturellen Standort statt und wird von einer Veröffentlichung im Internet und einem Printmedium begleitet. Die Laudatio hält in der Regel der künstlerische Leiter der Stiftung oder eine von ihm ernannte Person.

Leiter der Jury 2021:
Joachim Becker, künstlerischer Leiter und Treuhänder der Stiftung

Beratende Jury-Mitglieder 2021:
Marlene Mohn
Sophia Pompéry
Dr. Detlef Schäfer

Diffring Preis für Skulptur 2021
Die Preisverleihung findet anläßlich der Einzelausstellung von Louise Lang
im Mittelrhein-Museum Koblenz statt. Vernissage 03.02.2023,
Ausstellung vom 04.02. bis 30.04.2023

Louise Lang, Wellenbruchkugel, 2016, ofengeblasenes Glas, ca. 20 x ø22 cm

Diffring-Preis für Skulptur 2018
Ahmed Ramadan erhält den Diffring Preis für Skulptur 2018.
Die Preisverleihung findet anläßlich seiner Einzelausstellung in der Kommunalen Galerie Berlin statt.

Mit 14 Jahren übt er sich in Kalligrafie und entwickelt besondere handwerkliche Fähigkeiten. Mit 16 Jahren ist er selbstständiger Innenarchitekt. Die Triebkraft künstlerischen Schaffens führt ihn an die Universität der Künste in Damaskus. Doch sein freiheitliches Streben steht den Ausbildungszwängen in klassischen naturalistischen Techniken entgegen. Abstraktion ist verboten. Seine Meister sind Cezanne und Marwan.
2011 politische Inhaftierung, Flucht nach Deutschland.
Hier entwickelt er seine künstlerische Sprache in Malerei, in grafischen und in dreidimensionalen Arbeiten, in Installationen, die den Betrachter herausfordern, Teilnahme und Betroffenheit evozieren, Imagination ermöglichen. Die Werke von Ahmed Ramadan zeugen von einer existentiellen Auseinander-setzung mit einer gesellschaftlichen Realität, in der humane Verantwortlichkeit zunehmend schwindet.
Biografische Bedingtheiten und aktuelle Alltagserfahrungen sind seine Motive, die er, poetisch und tiefgründig, empathisch ins Werk setzt. Flucht und Verfolgung, Identitätsbrüche, Verlust von Natur- und Kulturbindung (vgl. Diffring: „Being rooted“) ebenso wie tagespolitische Nachrichten, seelische und körperliche Demütigung, Brutalität gegen Obdachlose („Homeless“, 2018), Ausgegrenzten, „den Anderen“. Das Thema bestimmt die Form, die keiner stilistischen Festlegung folgt. Detailgenauigkeit ist ihm wichtig. Es ist ein meditativer Prozess in dem Ahmed Ramadan alchimistisch, sorgfältig differenziert dem Medium, dem Material – Glas, Kohle, Lehm, Stahl – einen der Idee adäquaten Grund verleiht.

Zwei Seelen, Photo: Daniel Rupp

Das Meer, Detail
Homeless 1

Der Boden seines künstlerischen Schaffens wird zum Bedeutungsträger, mal durchscheinend, Struktur freilegend, mal undurchdringlich, sich schwer lastend in die Erde drückend – eindringlich in eine „Archäologie“ des kollektiven Bewusstseins. Das Leiden an der Wirklichkeit wird Skulptur, von verursachendem Schmerz über eine Welt von zunehmender Brutalität und Aggression – allgegenwärtig in den Bildmedien, die die Welt durchleuchten. Die Ästhetik seiner Arbeiten beherbergt Schönheit und Wahrheit, zartes Empfinden und schneidende Verletzung von Gefühlen. Wie ein Schleier bedeckt der Farbauftrag das sich enthüllende Thema.
Erfahrungen von Gewalt und Schmerz bestimmen die Materialien. Spitze, gefährliche Glasscherben ragen aus der Leinwand in den Raum hinein: Assoziationen zu ehemals heilen Raps- und Mohnfeldern, Vogelschwärmen oder Meereswellen. In seinen emotional anziehenden skulpturalen Reliefs bindet er Licht, Zeit, Vergänglichkeit. Seine Arbeiten füllen spannungsvoll den Raum, suchen einen Dialog mit dem Betrachter, durch dessen Bewegung sich das Kunstwerk erschließt.

Die Weite der Landschaft, Farben und Gerüche der syrischen Wüste finden heute als Sehnsuchtsbilder in seiner Malerei und Skulptur einen sensiblen Ausdruck – Spuren sichtbar machen, Wachhalten von schwindenden Erinnerungen (vgl. Diffring „Memory“). In seiner Kunst, besonders in der Malerei, bewahrt sichAhmed Ramadan vor dem Verlust der in Natur und Kultur beheimateten Gefühle seiner Kindheit (vgl. Diffring „Being rooted“).
“Zwei Seelen“, 2018: Zerrissenheit zwischen einer vertrauten arabisch geprägten Identität und einer fremden, wachsenden europäischen, globalisierten, in der Migration und plurale Identitäten zunehmend Normalität werden. Sein besonderes Abstraktionsvermögen verleiht dem sogenannten Individuellen allgemeingültige Werte. Er reflektiert in seinen Werken Bedürfnisse des Menschen nach Geborgenheit, Behausung, Harmonie, Frieden und Freiheit. 
Die Werke von Ahmed Ramadan können als mahnende Symbole für zukünftige Gesellschaften gelesen werden. Er berührt – kraftvoll und still – die großen Fragen des Menschseins in seiner kulturellen Entwicklung und appelliert mit seinen Werken hoffnungsvoll an ein globales humanistisches Bewusstsein, an eine rasant schwindende HI (humanistische Intelligenz)! 
(Joachim Becker, 02/2019)

DIFFRING-PREIS FÜR SKULPTUR 2008 – 2017 (please scroll down):

Kyoeng Sub YUE
Guillem Nadal
Zurab Bero
Dorit Trebeljahr
Andrea Boller
Sophia Pompéry
„Festival of Future Nows“
Yuni Kim
„Et continua… – Hommage an Jacqueline Diffring“
Gary Schlingheider

Diffring-Preis für Skulptur 2008
Der Diffring-Preis für Skulptur 2008 wurde dem südkoreanischen Künstler KYOENG SUB YUE
am 18. Dezember 2008 in der Botschaft der Republik Korea, Kulturabteilung, in Berlin verliehen.

Kyoeng Sub Yue studierte an der Universität der Künste in Berlin bei Prof. Dieter Appelt und ist Meisterschüler von Stan Douglas (2005). Erste Gruppenausstellungen erfolgten u.a. mit Tony Cragg und Rebecca Horn.
Dem künstlerischen Werk von Kyoeng Sub Yue liegt die ursprüngliche ostasiatische Ethik vom Einklang des Menschen mit der Natur und vom harmonischen menschlichen Zusammenleben zu Grunde. Die Wahrheiten der ’conditio humana’ und die Forderung nach Bewußtwerdung geben seinen Arbeiten ihre inhaltliche Bedeutung: das Sichtbarmachen des Verborgenen, des Vergessenen, die Wahrnehmung des Menschseins heute mit seinen existentiellen Ängsten und Bedürfnissen und das Fragen nach den menschlichen Werten der Zukunft sind seine Sujets. Dabei ist das Durchdringen von Raum, Zeit und Dimensionen ein elementares Bestreben von Yue.
Kyoeng Sub Yue erhielt den Diffring-Preis für Skulptur 2008 für sein skulpurelles Werk, das sich seit Beginn seines noch jungen künstlerischen Schaffens in vielfältigen Formen und Techniken darstellt. Die ’sculptura’, das klassische substraktive Verfahren entwickelt er mit ebenso bemerkenswerter Sensibilität und Poesie wie auch das additive plastische Gestalten seiner Werke. Figuren aus Holz, Zweigen oder aus Staub kreiert, sind geheimnisvolle transkulturelle Behausungen einer Idee, aufbewahrende Hüllen von Gedächtnis.

Die Materialität ist stets ein begründeter Teil des Themas. Form, Material, Medium und Thema bedingen sich gegenseitig und verschmelzen auf der Bedeutungsebene zu einem Ganzen. Das mehrdimensionale Denken ist elementar in allen Arbeiten von Yue vorhanden. Nicht allein das Figürliche – selbst schon sinnstiftendes Symbol – ist Projektionsfläche für Imagination. Das skulpturelle Sehen findet seinen ästhetischen Ausdruck ebenso in der Fotografie, Installation, Zeichnung und im Film. Die ephemere Skulptur bewahrt ihre plastische Spannung in der Fotografie auf. Dem Künstler genügt jedoch nicht eine dokumentarische Aufnahme des Kunstgegenstandes, vielmehr steigert er die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Rezipienten indem er ihn aus der Realität löst und in eine imaginäre surreale Welt stellt.
Jacqueline Diffring schrieb zu ihrer Skulptur ‘Das Verlangen zu Empfangen’: “Der Wunsch, sich weiter zu entwickeln – der Schöpfung begegnen und sie erkennen, kontemplativ sein – ist wahrer Sinn des Lebens.” Die Arbeiten von Kyoeng Sub Yue sind Meisterwerke der Kontemplation.

Diffring-Preis für Skulptur 2009
Guillem Nadal erhält den Diffring-Preis 2009 für sein skulpturales Werk.

Nadals Sprache ist die Sprache der Poesie. Seine Werke ermöglichen die vielschichtige Erfahrung von Ästhetik, von wahrem Ausdruck, wo Wahrheit und Schönheit eins sind.
Nadal stellt in seinen Werken die Frage nach dem Wesen der menschlichen Existenz, nach der  ’conditio humana’.
Sein Werk ist durchdrungen von plastischem Sehen, es äußert sich in figurativen Skulpturen, raumfüllenden symbolhaften Installationen und Assemblagen, assoziativen Anordnungen von ’objets trouvés’.
Das Streben in die dritte Dimension ist dem Werk von Guillem Nadal seit Anbeginn seines künstlerischen Schaffens immanent. Zweige ragen schon in früheren Arbeiten aus Leinwänden in den Raum hinein und zeichnen einen unendlichen Gedankenweg zwischen Vergangenheit und Zukunft. Seine Bildsprache hat ihren Ursprung in Beobachtungen der Natur, als dessen Teil er sich versteht. Sein Atelier ist das große Reservoir, das die Erde freigibt, Fossilien, Kadaver, Fundstücke mit Geschichte im Fluss der Zeit.

Nadal versetzt das Unerklärliche  in ein Artefakt von poetischer Klarheit. In seinem skulpturalen Werk, ob figurativ oder abstrakt,  können kunsthistorische Bezüge auftauchen von Rodin bis Twombly,  und dennoch ist er in seiner ganz eigenen ästhetischen Ausdrucksweise unverkennbar und charakteristisch.
Das Thema dominiert authentisch die Form, sie ist Gegenstand des elaborierten Ausdrucks von Wahrhaftigkeit. Archaisch, mystisch, mit Teer überzogen oder schwarz patiniert, entzieht sich die Oberfläche einer haptischen Gefälligkeit. Sie verweist auf einen tieferen Sinn, dem Nadal Volumen und Spannung verleiht. Die Form ist gestaltgewordene Idee, Wissen.

Mythen des Mittelmeerraumes klingen an und nehmen Platz in unserer globalisierten Welt. Ein sensibles Tangieren mit Licht und Schatten, mit bedrohlicher Fragilität, enthält ”das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird” (Adorno). Guillem Nadal verliert sich nicht im schönen Schein, unter der Oberfläche lauern stets vulkanische Deutungs- und Bewußtseinsschichten. Und auch wenn der Mensch nicht direkt Gegenstand der Darstellung ist, so ist er doch immer bedeutend anwesend. Nadal entspricht mit seinen Arbeiten einer ethischen Weltsicht der Antike, die zeitlos der Menschbildung verpflichtet ist.
Das Kunstwerk, in seiner zeitgenössischen Ausprägung, ist Indikator für Bewußtseinsgeschichte. Nadal stellt den heutigen Menschen in Beziehung zu seinen geistigen Wurzeln, mythologisch, philosophisch, psychologisch (’Being rooted’, Diffring). Der Zyklus von Leben und Tod als Chance.
Guillem Nadal begreift unsere individuelle Lebenszeit, unsere kulturellen Erneuerungen als Sediment, das er als kurzfristige Schichtung an die Oberfläche spült – und im kollektiven Unbewussten der Menschheit verankert.

Diffring-Preis für Skulptur 2010
Der Diffring-Preis 2010 wird in der Botschaft von Georgien in Berlin an den Bildhauer ZURAB BERO verliehen.

Die bildhauerische Arbeit von Zurab Bero geht bis in in die frühe Kindheit zurück. Mit 17 Jahren erwirbt er das Diplom zur Aufnahme an der Akademie der Künste Tbilissi / Georgien. 11 Jahre später, als Meisterschüler des englischen Bildhauers Prof. David Evison an der Universität der Künste Berlin, wird er mit dem Jacqueline Diffring Preis für Skulptur 2010 ausgezeichnet. 
Tbilissi – Berlin. Tiere und Menschen sind seine ersten Motive, figurativ aus Erde geschaffen. Sein handwerkliches Können entwickelt er von naturalistischen, hyper-realistischen Darstellungen über Abstraktion zu einer authentischen konzeptuellen Arbeit, die für den Betrachter zu einem sinnlichen und kognitiven Erlebnis wird. Das bildhauerische Werk von Zurab Bero umfasst eine Vielfalt künstlerischer Mittel, die er parallel oder kompositorisch als ”cross over” innovativ einsetzt.
Am Anfang steht die Idee, das Thema bestimmt das Medium. Vision wird Material. Erde, Stein, Neue Medien.  Lothar Baumgarten, Rebecca Horn, Bill Viola haben künstlerische Spuren hinterlassen, poetisch, philosophisch, imaginär.  Licht und Zeit, Lebenszeit und Hoffnung sind zentrale Themen in seinen installativen Arbeiten (2008), in denen er dem Skulpturalen eine architektonische Dimension hinzufügt. Film und Objekt (seit 2009) bilden formal ein Diptychon: Der Gegenstand korrespondiert mit dem filmischen Szenario, verbindet Realität und Fiktion, fragt nach deren Übergängen und bindet den Betrachter animierend spielerisch in das Geschehen ein. Die Symbolkraft der Skulptur verweist auf die symbolisch handelnden Darsteller, denen als ”lebendige Skulpturen” metaphysische Bedeutung zukommt.

Zurab Bero schöpft aus dem großen Reservoir der Geschichte, der immergültigen Geschichten der Menschheit, ihren Bedrohungen, Ängsten und Sehnsüchten. Er thematisiert Mythologien (z.B. Medea, Jason), ebenso wie individuelle Erfahrungen, aktuelle politische und ökologische Bedingungen, die zunehmende Zerstörung von Natur, von Leben und Lebensraum, von kultureller Identität.
Uralte vor-menschliche Lebewesen, Quallen, Hummer, Schildkröten, sind Projektionsfläche seiner künstlerischen Intention. Gedankliche Panzer aufbrechen: ”Flying Turtle”. Zurab Bero bewirkt Befreiung aus stereotypischen Sichtweisen (”Suprimer les pensées statique”, Diffring 2010) und das Erkennen des Wirklichen, das, was hinter dem Erscheinungsbild liegt (”The Inner Eye”, Diffring, 1982) – das wahre Wesen von Dingen und Situationen sichtbar machen ist seine ‘option fundamental’.


Skulpturale Spannung steigert sich in der Kontrastierung von Medien und Materialität: leicht-schwer, starr-beweglich, hart-weich usw. Um die Realität bewußt zu machen, bedient er sich oft surrealer Ausdrucksformen. In der Absurdität liegt die Wahrheit verborgen (André Breton). Scheinbare Gegensätze lösen sich auf – Traum Wirklichkeit. Das Federkleid erst lässt die Fragilität, die Verwundbarkeit der Schildkröte assoziieren, die nur in ihrem freien Flug ihrer Ausrottung entkommt. Aus der Distanz zu erdbedingter Bindung erkennt sie im Überflug ihre begrenzte Lebenszeit und liefert dem Betrachter imaginär den Transfer zu seiner eigenen ‘Lebenserwartung’.


Zurab Bero appelliert an humanistische Verantwortung, seine Werke sind durchwebt  von sozialer  Integrität. Dem Leiden an  gesellschaftlichen Wunden begegnet er mit Ironie, Optimismus und Leidenschaft. ”Das Leben ist schön”, sagt er und installiert Erdmännchen (”Emigranten” 2010), die riskant balancierend auf einer Brücke kontinuierlich ihren Weg gehen…

Der Diffring-Preis für Skulptur 2011
Den Diffring-Preis 2011 erhält die Künstlerin DORIT TREBELJAHR

Dorit Trebeljahr steckt in ihren Arbeiten – authentischer kann Kunst nicht sein! Ihre Skulpturen animieren den Betrachter selbst hineinzuschlüpfen, um nachzuempfinden – und sich selbst zu finden.

Die Arbeiten von Dorit Trebeljahr sind biografisch begründet. Ihre persönlichen großen Ereignisse des Lebens sowie alltägliche Erfahrungen deutet sie um, stellt sie auf eine imaginäre Bühne, auf eine Ebene, auf der sie im Transfer den Betrachter trifft. Sie bietet ihm Flügel an, Fühler oder Korsagen aus Plastikkabeln oder zerschnittenen Feinstrumpfhosen und Nadeln, immer wieder Nadeln, gezielte Akupunktur. Das künstlerische Repertoire reicht von Skulptur bis Performance.
Ihrer ’arte povera’ verleiht sie mit güldenem Anstrich und glitzernden Oberflächen ”Kostbarkeit”‚ die von Geschmackskriterien weit entfernt ist. Wertvoll ist nicht das Material, sondern das Thema, das jeden Menschen betrifft.
Seelische Strukturen nach außen tragen ist zentrale Motivation im Schaffen von Dorit Trebeljahr, in sensibler Balance von Poesie und Kalkül. Ambivalenzen, Widersprüche vereinen sich im so genannten Schönen. Realität und Wahrheit werden hinterfragt und im ästhetischen Prozess materialisiert. Dialektisch verführt Trebeljahr den Betrachter, zieht ihn in einen Bann von barockem, surrealem Zauber – um ihn dann an der Erkenntnis des Scheinbaren und der Wirklichkeit teilhaben zu lassen. Wahrheit ist schön und so verzeiht man der Künstlerin schnell, wenn der anziehende Glanz sich entpuppt als Konglomerat aus stechenden Nadeln, Nieten und Gitterdraht. Umarmungen, die weh tun. Mit der Lust zur Freiheit, zum Fliegen, nach Leichtigkeit, geht die Erinnerung an Prometheus einher.

Dorit Trebeljahr thematisiert Sehnsüchte und Leidenschaften und auch die Tränen des Eros (Bataille). Fragilität als Stärke. Schutz vor Verletzlichkeit enthält metamorphisch selbst aggressives Potential.

Verlust von Bodenhaftung, von Sicherheit: ein schwebendes Kleid für die Hochzeit mit dem Tod, das Fest: ein Drama;  ein  Schutzraum aus Rüschen entlarvt sich als gefährlicher Drachenschwanz (aus Fahrradschlauch). Idol oder Dämon (vgl. Diffring), das eine existiert in und durch das Andere und ist beides zugleich. Die Differenzierung von (scheinbaren) Gegensätzen spiegelt sich adäquat in Trebeljahrs erfindungsreicher Materialwahl. Innerer Monolog wird zum vielstimmigen Chor, in Skulpturen, installativen Reliefs, Objekten, gezeichneten und gestickten Papierbildern, hängend, schwebend, anlehnend oder in Architektur eingreifend.

Gedankenlinien werden in einer Form streng gefasst, in filigranen Strukturen, von Nylonfäden und Gummischnur umgarnt,  geschmeichelt und gefangen – Symbiosen, die von einander leben.
Dorit Trebeljahr schöpft in ihrer eigenwilligen Formensprache aus dem unendlichen Reich der Natur. Binsenschmuckzikaden, Sing- oder Kaiserzikaden sind ihre Modelle, die sie phantasievoll ihrer Idee, dem ästhetischen Ausdruck ihrer psychischen Bedingtheit unterordnet, mit  einem herzhaften Lachen – und traurigen Augen.

Dorit Trebeljahr, lebt und arbeitet in Berlin, geb. 1977 in Torgau (Sachsen),
1996-2001 Studium Geschichte, Psychologie, Germanistik und Rehabilitationspädagogik in Wuppertal und Berlin.
2001- 2004 Tanzausbildung, Berlin.
2001 Beginn der künstlerischen Ausbildung in Berlin bei M. Seidemann (Grafik) und R. Schmidt-Matt (Bildhauerei).
2004 – 2010 Studium Bildende Kunst, Bildhauerei, Universität der Künste Berlin (UdK).
2010 Meisterschülerin von Prof. David Evison, UdK.

Diffring-Preis für Skulptur 2012
Den Diffring Preis für Skulptur 2012 erhält die brasilianische Künstlerin ANDREA BOLLER.
Die Preisverleihung findet am 24.10.2013 in der brasilianischen Botschaft in Berlin statt.

Am Anfang war die Linie.
Radierungen und  schwarz-weiß Zeichnungen brechen auf zu (kleinformatigen) raumsprengenden Skulpturen aus Licht, Schatten und Farbe, zu raumfüllenden Installationen, zu konzentrierten Performances. 
Andrea Boller schöpft aus der Linie heraus ein Spannungsverhältnis zwischen Ich und Du. Licht und Schatten geben den Themen Volumen.


Sie stellt erneut die Frage ”woraus der Mensch gebaut ist”. Sie beschreibt  Schichten einer Persönlichkeit, Erfahrungen, Erinnerungen in Überlagerungen von Materialien ­­– durchlässige Gitter. Licht, das Symbol für Erkenntnis durchdringt alle Ebenen. Licht=Farbe, Farbe=Licht, Schatten=Farbe. Illusionär, imaginär werden Konstanten gebrochen, Schein und Wirklichkeit erfragt. 
Es geht um menschliche Beziehungen! Das Verhältnis der Materialien zueinander (oft Fundstücke) beschreibt symbolisch Emotionen – ein austangieren von Gefühlen, Schwingungen. Die Vereinigung zweier Kräfte vergrößert sich im variablen Lichteinfall bis ins Gigantische ohne Maßstäbe und löst ein Gefühl unendlicher Freiheit aus.
Architekturale Skulptur, Schattenzeichen, Gedächtnis, Auf der Suche nach einem latenten Gleichgewicht, Paare 
– sind Themen, bei Jacqueline Diffring figurativ-abstrakt gefasst, in der Tradition der englischen Schule nach Henry Moore, bei Andrea Boller radikal minimalistisch in der Ökonomie der Materialwahl, bei beiden auf das Wesentliche ihrer ästhetischen Formgebungen reduziert.

Die Wandskulpturen von Andrea Boller erreichen in der Paarbeziehung von fest und beweglich (Metall und Folie) ein harmonisches Ganzes. Das Material folgt einer spielerischen Choreografie, zwanglos. Skulptur wird hier zu einem aktuellen Ereignis, sie verändert sich einerseits mit der Bewegung des Betrachters im Raum, andererseits durch zeitliches Fortschreiten des natürlichen Lichtwinkels.
Wiederholungen, den Kreislauf der Natur, zeigt z.B. die Installation ”Knoten”, die sie in den Raum fließen lässt, ohne Anfang und Ende (Loop), immergleich – immerneu.
Schatten sind und zeigen die Konsequenz einer formalen Situation, einer Bewegung, von Handlungen. Jedes Handeln oder Nichthandeln birgt Konsequenzen. Die gegenständliche Seite steht für Bewusstheit, ihr Schatten für das Unbewusste. Beides bedingt sich gegenseitig. Die installativen Plastiken tragen die Option der Veränderung in sich.

Andrea Boller thematisiert die Zusammengehörigkeit von Gegensätzen und ringt der Form (dem Leben) immer neue Facetten ab. Verschiedene Lichtquellen lassen unterschiedliche Standpunkte assoziieren, lassen die Welt nicht nur von einem Standpunkt aus sehen. Sensible Differenzierungen, Zwischentöne, Unschärfen sind die andere Seite des materiellen Konzepts. Wichtig sind der Künstlerin die skulpturellen Erlebnisse an sich, gleichwertig sind ihr die Reflexe / Reflexionen, die sie auslösen. Die Form, das Konkrete, erweitert, vollendet sich in der immateriellen geistigen Welt. Die immaterielle Dimension von konkreten  Geschehnissen sichtbar machen ist die Kunst von Andrea Boller.


Naheliegenden Kategorisierungen in Konstruktivismus oder Konkrete Kunst entzieht sie sich immer wieder. In ihren Performances ist die Künstlerin selbst auch Form. Inszenierte Bewegung thematisiert Zeit, macht fühlbar das Drama der Endlichkeit. Tod.
Dominant in den Raum gesetzte Bodenplastiken, vieldimensionale ”Raumzeichnungen” evozieren Assoziationen zur String-Theorie und sprengen die Grenzen der Zeitwahrnehmung und des Kausalitätsdenkens.
Die Werke von Andrea Boller sind extensiv und ungebunden, sie forcieren beim Betrachter über die ästhetische Faszination hinaus ein Denken zu bewusstseinserweiternden, grenzüberschreitenden Möglichkeiten.

ANDREA BOLLER
geboren 1980 in Sao Paulo, Brasilien,
lebt und arbeitet in Berlin.
Meisterschülerin bei Prof. Karsten Konrad, Universität der Künste Berlin, 2012

Diffring-Preis für Skulptur 2013

Der Diffring-Preis für Skulptur 2013 wird an SOPHIA POMPÉRY verliehen.
Die Verleihung findet in Kooperation mit der Akademie der Künste Berlin am 14.12.2014 statt.

Menschen brauchen Kunst und die Kunst von Sophia Pompéry braucht den Menschen – als essentiellen Bestandteil der Werkvollendung. Die Künstlerin bereitet das Terrain für eine ästhetische Praxis, für eine soziale Skulptur.
Die Einbeziehung des Betrachters, sein stiller Dialog beim Betrachten ihrer Skulpturen – Videos und Objekte – ist der künstlerischen Arbeit immanent. Die Person selbst ist bewegte Skulptur in einem Raum, in einem sozio-kulturellen, politischen Kontext.
Bereits die klassische statische Skulptur verlangt durch ihre Dreidimensionalität die Bewegung des Betrachters. Das Kunstwerk entsteht erst vollständig in der Erfassung aus mehreren Perspektiven, das sich wiederum im jeweiligen Raum, sowie den Raum selbst, verändert, neu erfindet.

Die Abwendung von primär materiellem Arbeiten führt bei Sophia Pompéry zu einer radikal subjektiven und authentischen Arbeitsweise, geprägt von Objektfreiheit und einer ungewöhnlichen Sichtweise auf die Dinge, die den Betrachter in die Entlarvung von scheinbaren Sicherheiten, Vorurteilen und konventionellem Objektivitätsdenken einbezieht.
Spiegel und Spiegelungen sind wiederkehrende Elemente im Werk von Sophia Pompéry. Spiegel der Welt, Spiegel des Ichs – nicht die optische Wiedergabe ist entscheidend, sondern die Erfahrung mit der Konfrontation des Erscheinungsbildes. Eingravierte Sentenzen liefern Denkbausteine für eine individuelle Architektur von Gedanken.

„Mein Ziel ist es, mit möglichst wenigen Mitteln möglichst viele Assoziationsebenen zu eröffnen – Bilder hinter dem Bekannten zu zeigen, die die Betrachter auf poetische Weise tiefer in ihre persönliche Geschichte hineinziehen – ganz still, ohne zu kompromittieren.“
Sophia Pompéry animiert den Betrachter, ein Akteur der Selbsterkundung zu werden. Doch je dichter er dem Spiegelbild (Wahrheit?) nahekommt, je diffuser, je unbestimmbarer wird es. Wirklichkeit = Illusion?
Verschiedene Perspektiven, verschiedene Standpunkte thematisieren die Variabilität von Wirklichkeit, ihre Verhandelbarkeit. Sophia Pompéry zweifelt an Maßstäben und Gesetzmäßigkeiten. Ihre Themen basieren auf Erfahrungen in der Gegenwart und auf Antizipation zukünftiger Gegenwarten. Motive findet sie bei der fotografischen Erkundung ihrer alltäglichen Umgebung. Objets trouvés wecken skulpturale Faszination.
Die technische Führung des Objektivs der Kamera (Foto  oder Film) folgt dem Drang nach Wissen und Erkenntnis. Sophia Pompéry verwendet Materialien, die sie wissenschaftlichen, physikalischen und chemischen Experimenten unterzieht. Das Veränderliche, das Ephemere in ihren Werken, trans- und multimediale Prozesse schaffen nicht nur wertvolle ästhetische Augenblicke, sondern öffnen unerwartete Reflektionsräume. Bezüge zu elementaren philosophischen Fragen werden ans Licht gerückt, Vanitas, der Narziss-Mythos, immergültige Themen der Kunstgeschichte werden neu erzählt.

Pompéry schreibt die kunstgeschichtliche Tradition der Erweiterung des Kunstbegriffs fort. Dabei gibt sie jedoch das schöpferische Potential nicht an digitale Neue Medien ab. Ihr künstlerischer Ansatz erfordert ihre ganz eigene differenzierte Sensibilität bei der analogen manuellen Ausführung ihrer Ideen.

Die fragile Schönheit ihrer Werke erschließt in einzigartiger Symbol- und Anziehungskraft verborgene Räume, ideelle und skulptural-architektonische, öffnet unendliche Horizonte, ob malerisch- oder filmisch-skulptural.

Im weiten Spektrum ihrer Arbeitsweise zeigt sich die Künstlerin als eine „Wahr-sagerin“. Sie befragt Realität nach ihrem Konstrukt von Wirklichkeit und ermöglicht uns, staunend und emotional gereizt, Bewusstsein für die Relativität von so genannter Objektivität zu erfahren.
(Joachim Becker, 2014)

SOPHIA POMPÉRY
geboren 1984 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin.
Studium der Bildhauerei, Kunsthochschule Berlin-Weißensee (KHB), 2002-2009
Diplom bei Karin Sander und Eran Schaerf, KHB, 2008
Meisterschülerin bei Antje Majewski, KHB, 2009 und Institut für Raumexperimente bei Olafur Eliasson, Universität der Künste Berlin, 2009-2010
www.sophiapompery.de

Diffring-Preis für Skulptur 2014

Die Meisterschüler-Klasse von Olafur Eliasson, Institut für Raumexperimente, erhält den
Diffring-Preis für Skulptur 2014. Er wird zum ersten Mal an eine Vielzahl junger Künstler vergeben.

Zu Gast in der Neuen Nationalgalerie Berlin intervenieren sie in eine Installation von David Chipperfield. Die schwebenden Säulen/Bäume Chipperfields sind strukturierendes Fundament für raumdurchdringende ephemere, choreografische, performative Skulptur, Installationen und Objekte.Innen- und Außenraum verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk in einem FESTIVAL OF FUTURE NOWS.

The past is never dead. It’s not even past.“ (William Faulkner)

Die Vergangenheit nicht leugnen, sondern sie anreichern mit Wissen aus physikalischen, biologischen, chemischen, mathematischen oder architektonischen Experimenten und Erkenntnissen ist eine Maxime des vor fünf Jahren gegründeten Instituts für Raumexperimente. Die hier repräsentierten Künstler dieser „Klasse für Bildhauerei“ an der Universität der Künste Berlin – von Olafur Eliasson geleitet, betreut, gefördert und inspiriert – erschließen dem Betrachter neue Sichtweisen auf die Welt: In den unterschiedlichen künstlerischen Positionen basieren Wissen und Ästhetik auf irdischen Naturphänomenen und verweisen ebenso auf unsere kosmische Natur – Kunst als Erfahrung von Transzendenz, eines überschreitenden Denkens und Fühlens von Endlichkeit.

Die Erkundung menschlichen Bewusstseins in einem Zeit-Raum-Kontinuum betreibt Julian Charrière mit seiner Installation „On the Sidewalk“ (Auf dem Gehweg). Stein-Bohrkerne von unterschiedlichen geografischen Orten und Tiefen verkörpern Zeitlinien der Menschheitsgeschichte ebenso wie eine individuelle biografische (zufällige) Konstruktion. In einem schöpferischen Ritual von Zerlegen und Zusammenfügen eröffnet er Dialoge zwischen Zeit- und Kultursprüngen und deren dinghaften Zeugen, umklammert, in einer neuen variablen architektoralen Skulptur.

Julien Charrière

Die vielfältigen individuellen Deutungsmöglichkeiten verleihen den Werken ihre Bedeutung, nicht die Werthaltigkeit des Materials. Statische Gedanken abstoßen – ein Thema im Werk von Jacqueline Diffrings Bronzeskulpturen – schafft Freiraum für FUTURE NOWS, für ein Nachdenken über die Zukunft der Gegenwart und die Gegenwart von Zukunft.
In einem sinnlichen Klang von Poesie, Licht und Zeit ist „Freisetzung“ von Fabian Knecht als flüchtiges Erlebnis einer Rauchformation exemplarisches Beispiel für Gestaltgebung von Energie- und Spannungsfeldern. In der Ambivalenz von Ästhetik und simulierter Bedrohung erzeugt er eine existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Symbolwert der ephemeren Plastik.

Fabian Knecht

Die Künstler vergegenständlichen essentielle ökologische, politisch-gesellschaftliche Fragestellungen und Absurditäten unserer Zeit, entwerfen Zukunftsszenarien und entlarven Täuschungen. In einer Zeit von Perceptual Computing, der digitalen Wahrnehmungsverarbeitung, beweist sich Kunst im architektonischen wie im gesellschaftlichen Raum als ein analoger visionärer Erfahrungshorizont, der Wirklichkeit undWahrhaftigkeit reklamiert.
Der Zugang zum Innenraum der Nationalgalerie ist verhangen. Sophia Pompéry verweist mit ihrer monumentalen Landkarte kosmischer wetterbestimmender Strömungen, die nur bei Sonnenlicht (Illumination) sichtbar werden, einerseits auf die menschliche Substanz als Teil und in Abhängigkeit von kosmischen Bedingungen und deren unbewussten Auswirkungen auf Handlungen und Entscheidungen, andererseits thematisiert sie prägnant diesseits/jenseits des Vorhangs Verortungen von  physischen und psychischen Wahrnehmungsdifferenzen und öffnet mit diesem „Verhängnis“ dem Besucher den Zugang zu einer imaginären, Realität bildenden Welt.

Sophia Pompéry

Diffring-Preis für Skulptur 2015
YUNI KIM wird mit dem Diffring-Preis für Skulptur 2015 ausgezeichnet.

Das skulpturale Werk von Yuni Kim bindet Installation, Fotografie, Malerei, Sound- und Videokunst in das künstlerische Schaffen ein. Die wesentlichen Themen der koreanischen Künstlerin sind geprägt von einer Philosophie, die für jegliche Existenzform, ob Pflanze, Tier, Mensch oder Gegenstand eine gleichwertige Achtung, Beachtung und Würde fordert.
Die Beseelung aller Dinge als gedankliche Voraussetzung ermöglicht und provoziert den Transfer von emotionellen Erfahrungen und Erlebnissen in eine Gegenständlichkeit, die Yuni Kim in eine authentische künstlerische Ausdrucksform wandelt, sinnlich und konzeptuell. Die technischen analogen und digitalen Medien treten nie dominant in Erscheinung, die Konzentration des Betrachters wird somit direkt auf die Inhalte und ein ästhetisches Erlebnis gelenkt.
Die Poesie ihrer Arbeiten zieht den Betrachter in ihren Bann und konfrontiert ihn mit den elementaren Themen unseres Daseins. „Leben durch Tod“ (2015). „Wie ich bin, wie du bist“ (2014), beschreibt die Sehnsucht nach Harmonie (vgl. Diffring: „Suche nach einem verborgenen Gleichgewicht“) ebenso wie die Arbeiten „How I become you?“ (2015), und „Eins“ (2015). Yuni Kim sieht die Einheit der Welt, der Materie, der Elemente – in ihrer Vielheit („you and me and something like you“, 2015).
Elementarer Bestandteil ihrer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Zeit („Jetztzeit und Späterzeit“, 2010), mit Lebenszeit und Vergänglichkeit, mit Erinnerung („Where the missing things are“, 2015). Sie befragt Wirklichkeit, in dem sie dem unmittelbar Sichtbaren, dem sogenannten Realen, eine andere Instanz des Existierenden im ‚Un-fassbaren’ (virtuell) gegenüberstellt.
Mehrere Wirklichkeiten beziehen sich aufeinander, überlagern sich, verschmelzen, bleiben eigenständig. Eine unsichtbare Welt wird imaginär durch den Schatten eines abwesenden Objekts real spürbar. So, wie über Erinnerung mit der Kraft der Vorstellung in Gedanken eine Situation aus der Vergangenheit wieder erlebt – und für die Zukunft bewahrt werden kann.
Yuni Kim kreiert Schatten, sie entstehen nicht zufällig. Schatten sind Bedeutungsträger. Kein bloßes Echo oder ‚Bild hinter dem Bild’ oder attraktiver Effekt, eher die Vervielfachung des Gleichen zu immer wieder Neuem. Sie verleiht dem Schatten eine eigene Bewusstheit. Als ‚alter ego’ stellt der Schatten Bezüge zu ‚dem Anderen’, ‚dem Un-begreiflichen’ her.
Alltagsgegenstände erhalten in ihrer Anordnung eine Wertachtung, die ihre kulturelle Symbolik unterstreicht. Yuni Kim macht sichtbar, dass alle Objekte eine Geschichte haben, Züge des Lebens tragen. Die Beziehungen der Dinge zueinander erregen Assoziationsketten zu individuellen, ethischen, ethnologischen Phänomenen. Sie betreibt eine Archäologie der Gegenwart, wobei sie klischeehafte Wahrnehmungsmuster entlarvt, statische Kategorien aufbricht (vgl. Diffring: Statische Gedanken abstoßen).
Abdrücke sind Eindrücke, hinterlassene Spuren, wie ein Fußabdruck im Sand. Sie verweisen auf eine ‚Präsenz in absentia’ und auf eine ‚conditio humana’, bestimmt von Licht und Schatten, von Bewusstsein und Unbewusstsein, Anwesenheit und Abwesenheit. Und Yuni Kim macht uns beide Seiten in Gleichzeitigkeit sichtbar. Sie schenkt dem Betrachter ein Weltbild, dass das Leiden an der Wirklichkeit überwunden hat und das IST und das SEIN befreit bejahen kann.
(Joachim Becker, 09/2016)

YUNI KIM
lebt und arbeitet in Berlin seit 2011, geboren am 04.09.1984 in Busan, Süd Korea
2005          Hongik University of Fine Arts, Seoul
2012-2015 Universität der Künste Berlin (Udk)  bei Prof. Leiko Ikemura
2015          MFA Hunter College, New York
2016          UdK Absolventin. Meisterschülerin bei Prof. Michael Müller

DIFFRING PREIS FÜR SKULPTUR 2016
an Studierende der Universität Koblenz für die Ausstellung “et continua… – Hommage
an Jacqueline Diffring”, kuratiert von Stefanie Brüning.
Künstler: Anna Balthasar, Elena Boots, Isabella Boots, Iris Brahm, Anna Eufinger, Paul Haustov,
Stefanie Hüllen, Sabrina Kessler, Lea Lansch, Alina Lob, Johanna Memmesheimer,
Raphael Memmesheimer, Louisa Philippi, Baharak Rezvan, Laura Rothmund, Julian Schäfer,
Kristina Schmitt, Annette Simon, Magdalena Thielen, Kristina Wendtnagel.

Diffring-Preis für Skulptur 2017
Gary Schlingheider erhält den Diffring-Preis für Skulptur 2017.

Am Anfang war Malerei, nach naturalistischen Selbstportraits der Bruch zu abstrakt und ausdrucksstarken Kompositionen von Farbflächen. Aus ihr heraus erobert die Linie, das Lineare den Raum – selbständige, dreidimensionale Zeichnungen.
Vierkantstahl ist sein bevorzugtes Material. Gary Schlingheider ist der Essenz der Dinge auf der Spur, verborgen in archaischer Schönheit. Von analytischem Sehen alltäglicher Gebrauchsgegenstände ausgehend – mit ihren emotional besetzten Bindungen ­– wird ein Objekt zunächst abstrahierend von Emotionen und Bedeutungen befreit, auf eine rein ideologiefreie Form reduziert bis die Linie die Organisation des künstlerischen Werkes dominiert.
Künstlerische Wurzeln liegen in der „Konkreten Kunst“, dem reinen Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz verpflichtet, „…(sie) ordnet Systeme und gibt mit künstlerischen Mitteln diesen Ordnungen das Leben“ (Max Bill). Im Minimalismus findet Schlingheider das Streben nach Objektivität, schematischer Klarheit, Logik und Entpersönlichung als Maxime (Donald Judd).
Ein spiritueller Pate ist besonders Ellsworth Kelly: abstrakte Darstellungen mit klaren Linien, unvermischte, stark akzentuierte Farben, „Hard Edge“. Skulpturale Malerei und malerische Skulptur. Vom Einliniensystem zu einem Mehrliniensystem entwickelt Gary Schlingheider spannungsreiche Kommunikationsbeziehungen, die von einer Sehnsucht nach Harmonie zeugen.
„30 MM“ – reine Formen, freie Module, werden variabel zueinander in Beziehung gesetzt, sich vielschichtig überlagernd,  paarweise oder als einzelnes Element Position beziehend. Die formgebenden, rahmenhaften Stahlzeichnungen umschließen einen Leerraum, einen Denkraum, der an Rundungen, Ecken und Kanten vorbei zu intellektuellen wie zu emotionalen Erlebnissen führt. Schlingheider aktiviert Zwischenräume, die Architektur des Ortes und die Wahrnehmung des Betrachters.
Flächen, Volumen, entstehen in (Bilder-) Stahlrahmen. Monochrom bemalt umsäumen, focussieren sie Leere, die wie ein Spiegel den Betrachter befragt, ihn einerseits sich selbst ausliefert, andererseits ihm über die gesetzten Grenzen hinaus Freiraum schenkt, Entgrenzung. Autonomie. „Das Bild“ entsteht in der geistigen Welt des Subjekts.
Im Werk von Gary Schlingheider reklamieren Farbe und Form Autonomie, in einer Zeit gesellschaftspolitischer Polarisierungen und auch als Gegenbewegung zu einer Kommerzialisierung der Kunst. Farbgebung, rosa, hellblau, türkis oder schwarz schafft Sphären, Stimmungen. Schlingheider ästhetisiert nicht, sein Farbauftrag lässt bewusst Pinselspuren und sichtbare Arbeitsprozesse zu. Dadurch erfährt das formal Schöne eine ästhetische Emotion, für die die Form der Nährboden ist.

Inszenierte Rahmen („3DPLUS“), an der Wand oder im Raum positioniert, bieten dem Betrachter einen realen und imaginären Handlungsspielraum mit unbegrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten. Schlingheiders Werke stellen Bezüge und Relationen  zum Außen her, zu einer von der jeweiligen Architektur definierten Struktur, die somit selbst Bestandteil einer architekturalen Skulptur wird (vgl. Diffring: „Götter oder architekturale Skulptur“). Die Kunst von Gary Schlingheider stellt dem medialen Dickicht digital manipulierter Realität objektive Strukturen entgegen.
(Joachim Becker, 12/2017)